Das alltägliche Leben in vergangenen Gesellschaften aus
archäologischen Relikten zu rekonstruieren, scheitert zumeist
an unzureichenden Daten. Idealer Ausgangspunkt wäre eine
großflächig untersuchte Siedlung, die Bauten mit
zahlreichen, genau dokumentierten Funden enthält, und deren
historischer und kultureller Hintergrund aus Keilschriftquellen
detailliert bekannt ist.
Solche Bedingungen bot die einschichtige, geplant um einen
zentralen Platz angelegte Weststadt von Tall Bazi (Nordsyrien), die
um 1200 v. Chr. gewaltsam zugrunde ging. Knapp 50 ihrer Häuser
werden hier analysiert, um möglichst detaillierte
Aufschlüsse über die sozialen, ökonomischen und
kultischen Vorgänge in der Weststadt und ihren
gesellschaftlichen Hintergrund zu erhalten.
Mithilfe der Definition eines idealtypischen Hauses, von
archäologischen und naturwissenschaftlichen Methoden,
ethnographischen Analogien und Keilschrifttexten werden einzelne
Funde und Installationen sowie ganze Häuser auf ihre
Funktionen untersucht. Hierdurch kann ein Bild vom facettenreichen
Alltag gezeichnet werden: von Subsistenz, Handel und Handwerk, von
Ahnenkult und magischen Praktiken, von grundsätzlichen
Haushaltsstrukturen bis zu einzelnen Familienschicksalen. Ferner
spiegelt die Siedlung die Struktur einer wenig hierarchisch
geschichteten Gesellschaft, die sich in kollektiven Gremien selbst
verwaltete. So gelingt die Momentaufnahme einer funktionierenden
innersyrischen Gemeinschaft am Ende der Bronzezeit.
Adelheid Otto ist Privatdozentin für Vorderasiatische
Archäologie an der Universität München. Sie leitet
die Ausgrabungen in Tall Bazi.